Der Status quo sollhinterfragt werden


Markt und Technik

2019 übernahmen die Geschwister Arno Theus, Tina Bleiker-Theus und Nino Theus die gleichnamige Carrosserie in Chur in dritter Generation. Seither wurde viel umstrukturiert und die Optimierung ist weiterhin im Gange. Ein interessanter Zeitpunkt also für einen Blick hinter die Kulissen.

Während die Geschwister Arno und Tina operativ in der Carrosserie tätig sind und das Tagesgeschäft verantworten, arbeitet Verwaltungsrat und Minderheitsaktionär Nino Theus bei einer Privatbank in Zürich. Dass er sich zusätzlich im Familienbetrieb engagiere, beruhe laut seiner Aussage auf Leidenschaft: «Meine Geschwister lassen es zu und wir sind eine Familie. So ergänzen wir uns sehr gut.»

Nach der Geschäftsübernahme 2019 waren sie sich einig, wie Arno Theus erklärt: «Das Business war gerade so okay, aber wir fühlten uns zu verzettelt. Ein Status quo wie bei vielen, die ihn nur deshalb beibehalten, weil man es immer so gemacht hat. Das wollten wir nicht, also haben wir Veränderungen angestossen.»

Kundenerlebnis als erste Priorität

Die zunächst radikalste Massnahme war die Aufgabe des Handels mit Wohnmobilen, Wohnwagen und Anhängern. «Unsere Mission lautete, uns stärker auf das Kundenerlebnis zu fokussieren», begründet das Nino. «Als allererstes haben wir unser Erscheinungsbild in Angriff genommen.» Das hiess, den Schrottplatz im Hinterhof aufzuräumen, zwei öffentliche Ladestationen mit eigenem PV-Strom zu integrieren, den Internetauftritt zu modernisieren und mit sozialen Medien zu verknüpfen. Jetzt können Schadenmeldungen online eingereicht werden. Ebenfalls wurde die Vermietung von Bussen und Sachtransportern digitalisiert, was die Administration entlastete, wie Tina bestätigt: «Man kann online reservieren, den Fahrausweis digitalisiert einsenden und mit Twint bezahlen. Dies zusammen mit der Möglichkeit zur Online-Schadenmeldung gibt uns einen sehr modernen Anstrich.»

Ebenfalls zur Mission «Kundenerlebnis» gehörte eine grosse Investition in die Ersatzwagenflotte, wie Arno feststellt: «Denn ans Ersatzauto erinnert man sich. Heute haben wir Tesla, BMW, Audi etc. – alles, was der Kunde wünscht.»

Studienreise durch die Branche

Als es 2020 darum ging, die internen Prozesse zu optimieren, besuchten die drei Geschwister mehrere Carrosseriebetriebe zwischen Zürich und Bern. «Wir haben eher fortschrittliche, innovative Betriebe ausgewählt und die waren uns gegenüber sehr offen», erinnert sich Nino. «Dies gab uns ersten Input für verschiedene Massnahmen in den Bereichen Ausbildung und Personal, Werkzeuge sowie die Zusammenarbeit mit Partnern, die wir für uns ableiten konnten.» Bis heute wurde in diese Bereiche viel investiert, allerdings über einen längeren Horizont hinweg, wie Arno erklärt: «Wir mussten das zeitlich strecken, da wir es aus dem Betrieb heraus finanzieren wollten. Neue Werkzeuge wurden in Etappen gekauft. Der Höhepunkt war zwischen Sommer 2023 und Januar 2024 mit der Tesla-Zertifizierung. Das war ein grosser Brocken, denn zusätzlich zu den zwei Wochen Schulung im Ausland für drei Spengler mussten auch weitere Werkzeuge angeschafft werden.» Ein Mehrwert ergab sich dadurch, dass sich die Investitionen auch für die Reparatur von BEVs anderer Marken als nützlich erwiesen.

Weitere Neuerungen waren der Umstieg als einer der ersten Betriebe auf die Reihe 100 von Glasurit mit reduzierten Prozesszeiten und die Inbetriebnahme der automatischen Mischrampe Alfa CR6 von Glasurit als Pilotbetrieb. «Solche Sachen machen uns auch als Arbeitgeber attraktiver. Wir gewinnen so also bei allen Steakholdern rundherum», so Nino.

Fachpersonal gezielt anwerben

Lackierer wie auch Spengler wurden vermehrt in Kurse geschickt, sei es bei Lieferanten oder zum Thema Hochvolt. Zudem ist es dem Unternehmen gelungen, einen der raren Dellentechniker zu gewinnen, der nicht zuerst ausgebildet werden musste. «Er ist unser Künstler», verrät Tina.

Dank des Scheibenreparatursystems kann heute ein Drittel der Frontscheiben repariert werden. Dazu kam das CSC Digital Tool von Hella Gutmann für die Kalibrierung. «Das war eine Riesenanschaffung, aber wir wollten das Neuste auf dem Markt und verwenden es mehrmals wöchentlich. Kleinere Carrosserien kommen oft zu uns, was uns hilft, schneller zu amortisieren», erklärt Arno. Eine weitere Investition war das Carbon CBR von Carbesa für ABOL-Klebetechnik. «Dank dieser Investitionen wurden wir problemlos von green car repair zertifiziert und sind als Pilotbetrieb beim ecoRepairMotion Netzwerk dabei.»

Externe Prozessanalyse

Nachdem die Werkzeuge auf dem neuesten Stand waren, ging es um Prozessoptimierung. Dafür nutzte die Carrosserie Theus Body Shop BOOST von Glasurit, ein digitales, ganzheitliches Bewertungstool, das den gesamten Umfang einer Werkstatt abdeckt, einschliesslich Carrosserie, Lackierung, Mechanik, Nachhaltigkeit und weiterer infrastrukturrelevanter Elemente. Analysten waren mehrere Tage vor Ort und zeichneten mit 360-Grad-Kameras sämtliche Bewegungen auf. «Key to key – also vom Moment, an dem wir Schlüssel erhalten, bis wir den Schlüssel dem Kunden zurückgeben», präzisiert Nino. Seit über einem Jahr ist die Optimierung nun im Gange und weit fortgeschritten. «Diverse günstige Massnahmen konnten wir sofort umsetzen», bestätigt Tina. «Denn vieles liegt bei der Organisation und Planung – neu sehen wir die gesamte Werkstatt als eine Prozesstrasse und richten auch die Abläufe so aus.» Zu den daraus hervorgegangenen Anschaffungen gehörten Ersatzteiltrolleys bei der Teileannahme, in die alle für einen Auftrag benötigten Teile kommen. Weitere Erkenntnisse führten zu einer effizienteren Arbeitsplatzorganisation, Sicherheitsschildern, Fahrzeugschutz, Werkstattbeschriftungen (für bessere Ordnung) sowie zusätzlichen Liften.

Ein weiterer Prozessschritt erfolgte vor einem Jahr mit der Einführung einer digitalen Werkstattplanung, die mit der eingesetzten Verrechnungssoftware und Audatex kompatibel war. Dazu Nino: «Sie beinhaltet Auftragsplanung, Fotodokumentation, Ersatzwagenplanung und Zeiterfassung. Dadurch sehen wir je länger, je mehr, mit welchem Auftrag wir Geld verdienen – ein Novum.» Auf im Betrieb verteilten Bildschirmen sind die Aufträge mit allen Daten zum Fahrzeug zu sehen. Jeder Mitarbeiter hat diese Daten zudem auf einer App zur Verfügung und kann selbst mit Fotos dokumentieren. «Das gibt uns auch Sicherheit dem Partner gegenüber», so Tina.

Fokussierung aufs Kerngeschäft

2019 bestand erst mit einer Versicherung eine Partnerschaft, die Mitarbeiterzahl lag bei 22. «Wir wollten mit heute rund 30 Mit­arbeitenden jede Woche ausreichend Arbeit. Wir sind schliesslich in Chur und nicht in Zürich», begründet Arno. So wurden weitere Partnerschaften mit Versicherungen, Flotten und Autoabo-Anbietern abgeschlossen. «Vorher wusste ich am Montag nicht, ob es eine gute oder schlechte Woche werden würde. Seither ist der Umsatz jedes Jahr um 20 Prozent gewachsen. Das gibt uns Planungssicherheit, am meisten durch Tesla, wovon wir fünf bis sieben Fahrzeuge pro Woche reparieren dürfen.»

Auch das Feedback der Mitarbeitenden wird zur Prozessoptimierung genutzt: «Der Dellentechniker wie auch der neue Annehmer haben uns viele Inputs gebracht. Neue Mitarbeiter werden monatlich nach Verbesserungspotenzial befragt.»●

Text und Bilder: Henrik Petro

Interessiert an exklusiven Informationen rund um die Carrosserie- und Fahrzeugbranche?