Neue Konzepte bleiben eine Nische


Markt und Technik

Die Elektrifizierung setzt sich durch. Was andere Formen der individuellen Mobilität angeht, so finden neue Ideen zwar Fans, kommen aber gegen den Besitz des eigenen Fahrzeugs (noch) nicht an.

In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres kamen laut auto-schweiz 33635 neue Personenwagen auf unsere Strassen. 17850 davon – mehr als die Hälfte – verfügen über einen alternativen Antrieb. «Die Marktanteile der Elektroautos und Hybride konnten weiter zulegen», konstatiert autoschweiz-Mediensprecher Christoph Wolnik. «Dass die Elektrifizierung in der Schweiz schneller verläuft als erwartet, und das bei fast komplett fehlender Förderung, liegt an der Schweizer Kaufkraft.»

Der eigentliche Spass ist aber vorbei

Am 15. Oktober 2022 waren in der Schweiz 5578785 Motorwagen registriert (Quelle: strasseschweiz.ch). Das sind rund 950000 mehr als noch vor zwölf Jahren, nämlich 4630500 Motorwagen, Stand 30. September 2010. Wolnik bestätigt, dass die Schweizer Autos älter werden: «Das Durchschnittsalter liegt bei über zehn Jahren.» Immer mehr Autos bedeuten aber auch immer mehr Verkehr. Von 2005 bis 2021 verdreifachten sich die Staustunden auf den Nationalstrassen von 10975 auf 32481 Stunden. Und in den Städten ist es mit dem Abbau von Parkplätzen und der grossflächigen Einführung von Tempo 30 nicht besser. Martin Kyburz produziert im zürcherischen Freienstein die dreirädrigen, elektrisch angetriebenen DXP-Roller, mit denen die Schweizer Post seit neun Jahren emissionsfrei und leise Briefe verteilt.

«Die grosse individuelle Freiheit, wie wir sie kannten, wird immer mehr beschnitten. Daher verliert das normale Auto den Charakter als Prestigeobjekt, es wird zum normalen Gebrauchsgegenstand. Die heutigen Jugendlichen setzen sich nicht mehr mit dem Autofahren auseinander. Es wird aber immer wirklich Angefressene geben, die Fahren als Hobby und Sportart betreiben und zelebrieren werden mit speziell dafür vorgesehenen Autos.» Genau für diese Zielgruppe entwickelte Kyburz den eRod, einen puristischen, strassenzugelassenen Sportwagen mit Elektroantrieb. Der 45-kW-Motor beschleunigt den 600-kg-Roadster mit 140 Nm bis auf Tempo 120, die Reichweite liegt bei über 200 km. Noch bleibt das klassische eigene Automobil das Mass der Dinge, und das noch viele Jahre. Parallel dazu entstanden und entstehen aber neue Mobilitätskonzepte.

Carsharing und Auto im Abo

Carsharing-Marktführer in der Schweiz ist die 1997 gegründete Genossenschaft Mobility mit heute mehr als 240000 Kundinnen und Kunden, 3000 Fahrzeugen (davon zehn Prozent Elektroautos) und einem Jahresumsatz von 80 Mio. Franken. Bei Mobility reserviert man sein gewünschtes Fahrzeug über eine App und bezahlt pro Zeit und Kilometer. Der bekannteste Schweizer Auto-Abo-Anbieter ist Carvolution. Der Kunde bestellt einen Neuwagen und mietet ihn über eine vorgängig festgelegte Zeitspanne, die wiederum die Höhe des Abotarifs mitbestimmt. Das Auto-Abo entspricht sozusagen
einem Voll-Leasing ohne hohe erste Leasingrate, bei dem ausser dem Tanken alles inbegriffen ist, also Versicherung (Vollkasko und Haftpflicht), Zulassung im Wohnkanton, Steuern, Erstvignette, Bereifung, Reifenwechsel und -lagerung, Service und Wartung. Ein weiterer Vorteil ist die gegenüber dem klassischen Leasing höhere Flexibilität, zum Beispiel beim Wechsel auf ein anderes Modell.

Am Carrossier vorbei

In beiden Fällen entscheidet nicht der Fahrer, wo das Fahrzeug repariert wird, sondern der Besitzer – also Mobility respektive Carvolution. Ist ein Carrosseriebetrieb nicht Teil eines Partnernetzwerks dieser Flottenbetreiber, geht dieses Geschäft an ihm vorbei. Im Falle von Mobility ist es verschmerzbar, weil deren Kunden nur gelegentlich ein Auto benötigen und sich bewusst keines anschaffen möchten, also auch sonst nicht zu seinen Kunden gehören würden. Und die Flotte von 3000 Fahrzeugen macht nicht einmal ein Promille des Schweizer Wagenparks aus. Beim Auto-Abo verhält es sich etwas anders: Diese Kunden möchten ein Fahrzeug haben, das ihnen rund um die Uhr exklusiv zur Verfügung steht. Aus diesem Grund passt ihnen dieses Modell besser, als ein Auto zu kaufen oder zu leasen. Das sind Kunden, die man sonst vielleicht hätte haben können – oder sogar gehabt hat.

Doch wie gross ist dieser Markt überhaupt? «Was wir nicht ausweisen können, sind Auto-Abos», winkt Christoph Wolnik von auto-schweiz ab und fährt kritisch fort: «Mieten statt Besitzen ist sicher attraktiv. Doch das löst ein grundsätzliches Problem nicht. In den Städten haben mehr als die Hälfte aller Haushalte kein Auto. Sie möchten zwar mobil sein, es fehlt aber an Abstellplätzen und Ladeinfrastruktur.» Daran ändere auch ein Auto-Abo nichts. Die Carsharing-Genossenschaft Mobility hingegen hat für ihre Autos fest gemietete Parkplätze, was einen grossen Vorteil darstellt – auch bezüglich Elektromobilität. Denn 93 Prozent der bisherigen Käufer eines Elektroautos haben laut Wolnik die Möglichkeit, zu Hause zu laden. Wer also keinen festen Parkoder Tiefgaragenplatz mit Stromanschluss hat, ist beim Umstieg auf E-Mobilität benachteiligt, auch mit Auto-Abo, nicht aber beim Carsharing mit festen Parkplätzen mit Ladeinfrastruktur.

Micromobilität kann viel, aber nicht alles

2016 sorgte der am Genfer Autosalon ausgestellte Microlino des Schweizer Scooter-Herstellers Micro für Aufsehen. Aus dem Versuchsballon ist nach hindernisreichen Jahren ein Serienprodukt geworden, das in der Nähe von Turin gefertigt wird. Der Microlino soll vor allem online angeboten werden. Für Probefahrten und Auslieferungen hat die Micro Mobility Systems AG mit zurzeit drei Amag-Standorten einen Agenturvertrag abgeschlossen, wie Merlin Ouboter, Geschäftsleitungsmitglied und zuständig für Marketing und Vertriebsaufbau, erklärt: «Die Agenten stellen unsere Fahrzeuge im Showroom aus, wickeln Testfahrten ab und erhalten pro ausgeliefertes Fahrzeug eine Pauschalentschädigung.» Für eine kleine Marke sei dies die beste Lösung, auch um einen Fixpreis durchsetzen zu können. «Dieses Jahr werden wir rund 4500 Fahrzeuge produzieren, knapp 1000 davon für die Schweiz», so Ouboter
weiter. «Nächstes Jahr hoffen wir, in weiteren Märkten starten und die Produktion auf 10000 steigern zu können.»

Blick unter die Aussenhaut

Der weniger als 500 kg wiegende Microlino ist ein elektrisch angetriebener Zweisitzer der Klasse L7E. Sein E-Motor leistet 12,5 kW, beschleunigt mit max. 89 Nm bis auf 90 km/h und fährt mit der grösseren 14-kWh-Batterie bis 230 km weit. Zielgruppe sind Menschen, die im eigenen E-Auto pendeln und einkaufen möchten, aber keine Lust haben, dies mit einem 2,5-Tonnen-SUV zu tun. Auch Kleinunternehmer wie Architekten seien vom Microlino angetan und nutzen das auffällige Design als Werbefläche für sich selbst. Die selbsttragende Carrosserie besteht aus gepressten Stahl- und Aluminiumteilen – laut Hersteller eine Premiere in dieser Kategorie, da diese Struktur bisher nur im «echten Automobilbau» verwendet werde. «Unser Versicherungspartner Allianz steuert Unfallfahrzeuge bevorzugt zu den Agenten, bzw. in die
Amag-Carrosserien, die auch für Garantiefälle zuständig sind», erklärt Ouboter. «Die Türe ist aus Stahl, bei einem vorderen Parkschaden reicht es aber meistens, den Kunststoffstossfänger zu reparieren oder ersetzen. Die Seitenteile sind aus Aluminium, was die Reparatur etwas komplexer macht. Am Heck findet sich wieder Plastik.»

Von Träumen der anderen zur eigenen Kreativität

«Premiumhersteller verkaufen weiterhin Träume und Prestige, und das ist immer noch wichtig», erklärt Ouboter. «Ich sehe aber an meiner Generation, dass es an Bedeutung verliert. Es wird noch einige Jahre dauern, aber wir sind überzeugt, dass Menschen künftig das Fahrzeug besitzen werden, das sie jeden Tag brauchen, und dass dieses nicht mehr so gross ist. Für Ferienreisen oder weit entfernte Familienbesuche mieten oder teilen sie dann ein grösseres Auto. Denn wer rechnet, weiss, dass, wenn man die Langstrecke nicht ausnutzt, sich der Besitz eines grossen Fahrzeugs gar nicht lohnt.» Das bedeutet für den Unternehmer als Mobilitätsdienstleister, dass er genau für diese Kunden, mit denen er bestenfalls bereits eine Geschäftsbeziehung führt, zum Beispiel die Ersatzwagenflotte auch zum Mieten anbieten könnte.

Auch Martin Kyburz sieht für Carrosseriebetriebe Chancen im sich ändernden Mobilitätsverhalten: «Als kleines Unternehmen kann man viel flexibler sein und seine Kreativität viel besser einsetzen. Die Chancen in Veränderungen erkennen zu können benötigt aber Zeit. Man muss sich zurücklehnen und in sich gehen können und sich fragen: Was interessiert mich wirklich? Wenn
man das als Unternehmer herausfindet, wird automatisch dort so viel Konzentration und Energie frei, sodass sich etwas Neues ergibt. Wichtig dabei ist, dass die Dienstleistung, die ich erschaffe, dem anderen mehr Geld wert sein muss, als sie mich kostet.»

Text: Henrik Petro / Bilder: Henrik Petro, Martin Kyburz, Micro

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